Kapitel 11: Der Streit
Die letzten Wochen waren intensiv gewesen. Zwischen Vorlesungen, Projekten und neuen Verpflichtungen schien kaum Zeit zum Durchatmen zu bleiben. Sonja und Erik, die sonst immer ein eingespieltes Team gewesen waren, spürten die Belastung, ohne es zunächst auszusprechen. Doch je mehr sich der Stress aufbaute, desto größer wurden die unausgesprochenen Spannungen zwischen ihnen.
An einem Freitagabend, nach einem besonders anstrengenden Tag, begann die Situation zu kippen. Erik saß am Küchentisch, umgeben von Notizen und seinem Laptop. Sonja betrat die Küche, die Arme voller Ordner, und starrte ihn an.
„Hast du heute den Müll rausgebracht?“ fragte sie, bemüht, ihre Stimme ruhig zu halten.
Erik sah nicht einmal auf. „Ich hatte keine Zeit. Ich habe die ganze Zeit an den Aufgaben für das Start-up gearbeitet. Kannst du das nicht übernehmen?“
Sonja legte die Ordner ab, ihre Augen funkelten vor Frustration. „Ernsthaft, Erik? Ich habe auch einen vollen Tag hinter mir. Es wäre schön, wenn du auch mal etwas übernimmst, ohne dass ich dich daran erinnern muss.“
„Du tust ja so, als würde ich nichts beitragen,“ erwiderte Erik, nun sichtlich genervt. „Ich arbeite die ganze Zeit, Sonja. Du hast keine Ahnung, wie anstrengend es ist.“
Sonja schnaubte. „Keine Ahnung? Glaubst du wirklich, ich hätte es einfacher? Dr. Bennett erwartet, dass ich ständig neue Ideen präsentiere, und nebenbei jongliere ich noch unsere Wohnung und die ganzen Kleinigkeiten, die du offenbar nicht bemerkst!“
Die Worte prallten wie Schüsse zwischen ihnen hin und her, und die Atmosphäre wurde immer angespannter. Schließlich stand Sonja abrupt auf und verschränkte die Arme. „Weißt du, was das Problem ist? Du denkst immer, dass nur dein Stress zählt.“
Erik starrte sie an, seine Hände zu Fäusten geballt. „Und du? Du denkst, du bist die Einzige, die alles tragen muss. Vielleicht wäre es besser, wenn wir einfach nicht mehr ständig umeinander wären. Dann hätten wir beide weniger Stress.“
Die Worte hingen schwer in der Luft. Sonjas Gesichtsausdruck wechselte von Wut zu Verletztheit, und sie drehte sich ohne ein weiteres Wort um. Die Tür zu ihrem Zimmer fiel mit einem dumpfen Knall ins Schloss.
Die Stunden danach vergingen in bedrückender Stille. Erik saß allein am Tisch, starrte auf die verstreuten Papiere vor sich und fühlte ein zunehmendes Unbehagen. Die Wut, die ihn zuvor durchströmt hatte, war verschwunden, und stattdessen blieb nur das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.
Sonja saß auf ihrem Bett, die Knie angezogen, und starrte auf ihr Handy. Sie überlegte, ob sie eine Nachricht an Lizzy schreiben sollte, entschied sich dann aber dagegen. Stattdessen ließ sie die Szenen des Streits in ihrem Kopf wieder und wieder abspielen. Ihre Augen brannten, und sie fragte sich, wie es so weit hatte kommen können.
Spät in der Nacht klopfte Erik leise an Sonjas Tür. Einen Moment lang blieb es still, dann öffnete sie zögerlich.
„Ich… wollte mich entschuldigen,“ begann Erik. Seine Stimme war leise, und er vermied es, ihr direkt in die Augen zu sehen. „Ich hätte nicht so reagieren sollen. Ich weiß, dass du genauso viel durchmachst wie ich. Vielleicht sogar mehr.“
Sonja sah ihn lange an, bevor sie nickte. „Ich hätte auch anders reagieren können. Ich bin einfach so müde, Erik. Es fühlt sich an, als würden wir immer nur kämpfen – gegen die Uni, gegen uns selbst… und jetzt auch noch gegeneinander.“
Erik trat näher und nahm vorsichtig ihre Hand. „Wir haben uns immer als Team gesehen. Vielleicht sollten wir uns daran erinnern und versuchen, wieder so zu sein. Was meinst du?“
Ein schwaches Lächeln erschien auf Sonjas Gesicht. „Ja, lass uns versuchen, wieder ein Team zu sein.“
Der Streit hatte ihre Schwächen offengelegt, aber auch gezeigt, dass sie bereit waren, an sich zu arbeiten. Gemeinsam beschlossen sie, in Zukunft mehr miteinander zu reden und sich gegenseitig zu unterstützen. Es war kein einfacher Weg, aber sie wussten, dass es sich lohnte.