Kapitel 11: Das letzte Experiment
Die Sonne war gerade erst hinter den Bergen von Aurora verschwunden, als sich die Parkhüter in der Nova-Zentrale versammelten. Der Raum war erfüllt von leisen Gesprächen und der Erwartung, die in der Luft lag. Vor ihnen auf dem großen Kontrollpult flimmerte ein holografisches Modell der Cybercities – eine lebendige Projektion der Vision, die sie testen sollten.
„Also, das ist es,“ begann Selina und richtete ihren Blick auf die Gruppe. „Das System wurde so programmiert, dass es die grundlegenden Bedingungen der Cybercities simuliert. Energieverwaltung, Ressourcenplanung, Konfliktlösungen – alles wird in Echtzeit simuliert.“
„Und was ist unsere Aufgabe?“ fragte Kevin, der mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt war.
Harald trat vor, sein Blick ruhig und berechnend. „Unsere Aufgabe ist es, eine funktionierende Gemeinschaft aufzubauen. Jeder von uns wird eine Rolle übernehmen – Energieverwaltung, Logistik, Sicherheit, Bildung. Das Ziel ist es, die Stadt in dieser Simulation am Laufen zu halten, ohne dass sie zusammenbricht.“
Isabella nickte, ihr Gesicht nachdenklich. „Und was passiert, wenn wir scheitern?“
Selina lächelte schwach. „Dann wissen wir zumindest, was wir verbessern müssen.“
Die Gruppe verteilte sich an ihre zugewiesenen Stationen. Selina übernahm die Energieverwaltung, Harald koordinierte die Logistik, Isabella kümmerte sich um Bildung und soziale Dynamiken, und Kevin wurde für die Sicherheit zuständig gemacht. Die Simulation startete mit einem sanften Summen, das den Raum erfüllte, während das Hologramm lebendig wurde.
In den ersten Stunden verlief alles reibungslos. Selina bewegte sich geschickt durch die Energieprotokolle und optimierte den Energieverbrauch in verschiedenen Sektoren. „Das System reagiert schnell,“ sagte sie, während sie eine Verschiebung in der Energieversorgung vornahm. „Aber es gibt hier eine Schwachstelle – wenn die Hauptleitung überlastet wird, fällt die gesamte Versorgung aus.“
„Dann sorg dafür, dass das nicht passiert,“ sagte Harald, ohne seinen Blick von der Logistikkarte zu nehmen. Er überprüfte, welche Ressourcen in die jeweiligen Sektoren transportiert werden mussten, und koordinierte die Drohnenbewegungen.
Kevin hingegen schien Schwierigkeiten zu haben, sich in die Simulation einzufinden. „Die Sicherheitsprotokolle sind übertrieben kompliziert,“ murrte er, während er durch die Daten scrollte. „Warum müssen wir überhaupt so viele Sicherheitsmaßnahmen haben? Es fühlt sich an, als wäre das übertrieben.“
„Weil es wichtig ist,“ entgegnete Selina scharf. „Wenn du deine Aufgabe nicht ernst nimmst, wird das ganze System instabil.“
Kevin schnaubte, sagte aber nichts mehr und konzentrierte sich wieder auf seine Konsole.
Mit der Zeit begann sich die Simulation zu verschärfen. Ein plötzlicher Anstieg des Energieverbrauchs in einem der Sektoren führte zu Überlastungen, und Selina musste schnell reagieren. „Ich brauche mehr Zeit, um das zu stabilisieren!“ rief sie.
„Ich kann die Logistik umleiten,“ sagte Harald. „Aber das wird andere Sektoren belasten.“
„Tu es!“ Selina konzentrierte sich und brachte das System mit einem schnellen Override wieder ins Gleichgewicht. Ihr Gesicht war angespannt, aber sie wirkte entschlossen.
Währenddessen kämpfte Kevin mit einer plötzlichen Sicherheitsverletzung in der Simulation. Eine Drohne, die für die Überwachung zuständig war, fiel aus, und er musste schnell reagieren, um die Auswirkungen einzudämmen. „Das ist unmöglich,“ murmelte er und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht alles im Blick behalten.“
Isabella trat näher an ihn heran. „Du musst priorisieren, Kevin. Finde die größte Schwachstelle und konzentriere dich darauf.“
Mit einem tiefen Atemzug folgte Kevin ihrem Rat und konnte die Sicherheitslage stabilisieren. Doch die Anspannung war ihm deutlich anzusehen.
Die Herausforderungen nahmen zu. Plötzlich meldete das System eine Ressourcenknappheit, und die Gruppe musste improvisieren. Harald lenkte die Drohnen um, um die knappen Güter effizienter zu verteilen, während Selina die Energiezuteilung erneut anpasste. „Das hier ist kein Experiment mehr,“ murmelte sie. „Das fühlt sich wie echte Verantwortung an.“
Die Simulation enthüllte immer mehr Schwächen. Ein unerwarteter Ausfall eines sozialen Subsystems führte zu Konflikten in der simulierten Bevölkerung, und Isabella musste schnell reagieren. Sie programmierte einen Mediationsalgorithmus, um die Konflikte zu entschärfen. „Wenn das hier real wäre, hätten wir ein großes Problem,“ sagte sie mit ernster Miene.
Nach zwölf Stunden Simulation wurde das Experiment beendet. Der Raum war erfüllt von einem leisen Summen, als das Hologramm verblasste und die Systeme heruntergefahren wurden. Die Parkhüter sanken erschöpft in ihre Sitze, während Harald die Ergebnisse auf seinem Tablet überprüfte.
„Das war… intensiv,“ sagte Isabella und rieb sich die Augen. „Aber wir haben es geschafft.“
„Kaum,“ murmelte Kevin. „Ich habe das Gefühl, dass ich mehr Fehler gemacht habe, als ich behoben habe.“
Selina sah ihn an, ihr Blick sanft, aber bestimmt. „Du hast gelernt, Kevin. Und das ist der Punkt. Wir alle haben Fehler gemacht, aber das bedeutet nicht, dass wir gescheitert sind. Es bedeutet, dass wir wissen, woran wir arbeiten müssen.“
Harald nickte. „Die Simulation hat gezeigt, dass wir als Team funktionieren können, aber wir haben auch unsere Schwächen gesehen. Das ist genau das, was wir herausfinden wollten.“
Die Gruppe saß für einen Moment in Stille, jeder vertieft in seine Gedanken. Schließlich stand Selina auf. „Das war ein guter Test. Aber die echte Herausforderung liegt noch vor uns. Wenn wir wirklich in die Cybercities gehen, müssen wir bereit sein.“
Die anderen nickten, ihre Müdigkeit wurde von einem Hauch von Entschlossenheit verdrängt. Sie wussten, dass dies nur der Anfang war – ein kleiner Schritt auf dem Weg in eine ungewisse, aber vielversprechende Zukunft.
Harald blickte aus dem Fenster der Zentrale hinaus, wo die ersten Lichter von Aurora wieder aufflackerten. „Vielleicht,“ sagte er leise, „ist das genau das, was wir gebraucht haben. Einen Blick darauf, wie viel wir erreichen können, wenn wir es wirklich versuchen.“