Kapitel 15: Ankunft in den Cybercities

Der Aufzug glitt lautlos in die Tiefe, während Selina und Harald nebeneinander standen. Die Wände aus transparentem Glas gaben den Blick auf die darunterliegende Welt frei – eine futuristische Landschaft aus gläsernen Strukturen, üppigen vertikalen Gärten und schimmernden Wegen, die wie Adern eines lebendigen Organismus wirkten. Selina konnte den Herzschlag dieser neuen Welt fast spüren. Es war ein Moment, der zugleich Ehrfurcht und Neugier hervorrief.

„Es sieht anders aus, als ich es mir vorgestellt habe,“ sagte Harald leise. Sein Blick wanderte über die Details, die langsam klarer wurden, je näher sie dem Boden kamen.

Selina nickte. „Und doch fühlt es sich… vertraut an. Vielleicht, weil wir immer auf so etwas hingearbeitet haben.“

Als der Aufzug schließlich anhielt, öffneten sich die Türen mit einem sanften Zischen. Eine warme, einladende Brise schlug ihnen entgegen, und das Summen der automatisierten Systeme erfüllte die Luft. Selina trat hinaus und ließ ihren Blick schweifen. Die Cybercities waren nicht nur eine technische Meisterleistung – sie waren lebendig. Drohnen schwebten leise vorbei, während leuchtende Linien auf den Wegen die Richtung zu verschiedenen Bereichen wiesen.

„Willkommen,“ erklang eine sanfte, künstliche Stimme. Es war Nova, die KI, die für die Verwaltung der Städte programmiert war. „Sie sind die ersten Bewohner dieser neuen Gemeinschaft. Bitte folgen Sie den Anweisungen, um Ihre Ankunft zu registrieren.“

Selina und Harald folgten den holografischen Markierungen, die sie zu einem zentralen Platz führten. Dort warteten bereits persönliche Begrüßungspakete – schlichte, elegante Boxen, die alle notwendigen Informationen und erste Ressourcen enthielten. Selina hob ihre Box auf und hielt kurz inne. Sie spürte, wie die Schwere ihrer Entscheidung langsam von ihr abfiel, ersetzt durch eine leise, aber bestimmte Zuversicht.

„Das ist es,“ sagte Harald, während er seine Box öffnete und die Inhalte prüfte. „Unser Neuanfang.“

Selina nickte, doch ihre Gedanken wanderten zurück nach Aurora. Sie erinnerte sich an die stillen Nächte am See, an die unzähligen Herausforderungen, die sie gemeinsam gemeistert hatten. Aurora hatte sie geprägt, sie gelehrt, was Verantwortung und Gemeinschaft bedeuteten. Doch diese Erinnerungen waren keine Ketten, sondern Brücken in diese neue Welt.

„Aurora hat uns viel gegeben,“ sagte sie schließlich. Ihre Stimme war ruhig, fast nachdenklich. „Aber das hier ist unsere Chance, etwas noch Größeres zu schaffen.“

Harald lächelte schwach. „Das hoffe ich auch. Es wird nicht einfach, aber wenn jemand das kann, dann wir.“

Während sie die Stadt erkundeten, bemerkte Harald plötzlich: „Weißt du, was mich noch beschäftigt? Die Sabotage in Aurora. Es fühlt sich an, als hätte das uns alle vorbereitet – wie eine Art Test.“

Selina blieb stehen und sah ihn an, ihr Gesicht ruhig, aber ernst. „Es war ein Test,“ sagte sie leise. „Ich war diejenige, die es initiiert hat. Zusammen mit Markus Stiebinger.“

Haralds Augen weiteten sich. „Du hast… was?“

Selina atmete tief durch. „Es war keine leichte Entscheidung. Aber Markus und ich haben gesehen, dass wir euch auf die Probe stellen mussten. Die Cybercities sind eine große Herausforderung, und wir mussten sicher sein, dass ihr als Team bereit seid. Die Sabotage war inszeniert, kontrolliert. Es gab nie eine echte Gefahr, aber ihr wusstet das nicht.“

„Das war ein Risiko,“ murmelte Harald, immer noch schockiert. „Und was, wenn wir gescheitert wären?“

„Aber ihr seid nicht gescheitert,“ erwiderte Selina. „Ihr habt zusammengearbeitet, Lösungen gefunden und bewiesen, dass ihr Verantwortung übernehmen könnt. Das war der Beweis, den wir brauchten – dass ihr bereit seid.“

Harald schwieg einen Moment, dann nickte er langsam. „Ich verstehe, warum du es getan hast. Und ich denke… ich denke, es hat funktioniert.“

Die Nacht über die Cybercities brachte eine ungewöhnliche Stille mit sich. Die Wege leuchteten in sanften Farben, und die Luft war erfüllt von einem beruhigenden Summen. Selina stand auf einem Balkon, der über einen der großen Gärten hinausblickte. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Die Entscheidungen, die sie hierher geführt hatten, waren nicht leicht gewesen. Aber sie hatte das Gefühl, dass sie am richtigen Ort war.

Sie dachte an Markus Stiebingers Worte, die er zu ihr gesagt hatte, bevor sie den Plan zur Sabotage umgesetzt hatten: „Selina, Vertrauen wächst in der Krise. Wenn sie das hier schaffen, dann können sie alles schaffen.“ Diese Worte hallten in ihrem Kopf wider, während sie in die Ferne blickte.

„Ein neuer Anfang,“ murmelte sie leise. „Nicht nur für uns, sondern für alle, die folgen werden.“

Die Cybercities waren nicht perfekt, aber sie waren eine Chance – eine Chance, die Zukunft zu gestalten, zu lernen und zu wachsen. Selina war bereit, diesen Weg zu gehen, und sie wusste, dass Harald und die anderen irgendwann ebenso bereit sein würden.

Mit einem letzten Blick auf die schimmernde Stadt unter ihr wandte sie sich um und verschwand in der Stille der Nacht. Es war der Beginn einer neuen Ära – ein Schritt, den sie bewusst gegangen war, um den Weg für alle zu ebnen.